Bild: Rathaus Rüsselsheim am Main

09.07.2018

Wie im Stadtarchiv Rüsselsheimer Stadtgeschichte lebendig wird

Foto: Die Leiterin des Rüsselsheimer Stadtarchivs, Gudrun Senska, zeigt einen Teil der Sammlungen, die im Keller der Festung lagern.

Das Internet vergisst nie, und Google findet alles. Bezogen auf die Geschichte Rüsselsheim kommt dem Stadtarchiv ähnliche Bedeutung zu: Es ist kommunales Gedächtnis und erste Quelle für stadtgeschichtliche Informationen. Und Gudrun Senska, Leiterin des Stadtarchivs, ist Hüterin dieses Wissens. Sie sorgt dafür, dass alles in der Rüsselsheimer Geschichte seinen Platz hat.


Doch das Rüsselsheimer Stadtarchiv in der Festung ist mehr als Verwahrungsort. Es ist Verwaltungsamt, Dienstleistungsbetrieb, Informationszentrum und wissenschaftliches Kulturinstitut in einem. Zum Bestand des Stadtarchivs gehören Urkunden, Akten und Sammlungen schriftlicher Quellen, ein Fotoarchiv mit über 10.000 Bildern sowie in Zusammenarbeit mit dem Stadt- und Industriemuseum eine Bibliothek mit 15.000 Bänden und eine Sammlung lokaler und regionaler Zeitungen, beginnend im 19. Jahrhundert.


Dabei folgt die Aufgabenstellung einem gesetzlichen Auftrag: „Unsere Aufgabe ist im Hessischen Archivgesetz und in der städtischen Archivsatzung geregelt. Danach übernehmen wir vorrangig städtisches Schriftgut aus der Verwaltung, bewerten es hinsichtlich historisch relevanter Aspekte und erschließen es“, erklärt Gudrun Senska. Ziel sei es, Verwaltungshandeln und städtische Aktivitäten auch künftigen Generationen nachvollziehbar und erklärbar zu machen. Archivwürdig sind alle Unterlagen, die für das Erforschen und das Verständnis von Geschichte und Gegenwart bedeutsam sind. Hinzu kommen alle Dokumente, die aufgrund von Rechtsvorschriften dauerhaft aufbewahrt werden müssen.


Dazu prüft sie die Unterlagen, die in der Stadtverwaltung angefallen, aber für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich sind. Je nach Vorgang ist dies spätestens 30 Jahre nach ihrer Entstehung der Fall. Erst danach entscheidet sich, was mit den Akten weiter passiert: Zur Aufbewahrung ins Archiv oder zur Vernichtung in den Datenschredder. Doch meist versuche sie bereits im Vorfeld mit den einzelnen Bereichen abzustimmen, was nach Ablauf der Fristen ins Archiv übernommen werden soll.
Über diese Aufgabe hinaus, wichtige städtische Unterlagen für die Nachwelt zu erhalten, nimmt das Stadtarchiv auch anderes Archivgut auf, wenn es für die Überlieferung der Rüsselsheimer Geschichte nützlich ist. Dazu gehören beispielsweise Fotografien, Plakate, Flugschriften, Zeitungen, aber auch private Aufzeichnungen. „Erst kürzlich hat das Archiv eine Flugblattsammlung der IG Metall Opel übernommen, die die Geschichte der Arbeitnehmervertretung in der Zeit von 1987 bis 2015 widerspiegelt“, berichtet Senska.


Mut zur Lücke heißt erfolgreich Schwerpunkte setzen
Doch damit das Stadtarchiv nicht aus allen Nähten platzt, setzt Senska auf den Mut zur berühmten Lücke: „Man muss sich auch mal trauen, sich von etwas zu trennen. Andernfalls geht man in der Informationsflut unter“, sagt sie. Dass sie mit ihrer Art der Schwerpunktsetzung recht erfolgreich ist, zeigt die Verleihung des hessischen Archivpreises aus dem Jahr 2013. Vor fünf Jahren wurde das Rüsselsheimer Archiv für seine umfangreiche Sammlung, die nicht nur das Schriftgut der Stadt und seiner Stadtteile verwahrt, ausgezeichnet. Mit Weitblick hat sie weitere Bestände zur Umwelt- und Technikgeschichte, zur Geschichte der Arbeiterbewegung und des Nationalsozialismus in der Region sowie zum Frauenleben und zur Frauenarbeit zusammengetragen und so erst den Kontext erschlossen, in dem aus staubigen Verwaltungsakten lebendige Rüsselsheimer Geschichte werden kann.


Gudrun Senskas eigene Geschichte im städtischen Archiv ist eng mit der ihres Vorgängers Dr. Wolfram Heitzenröder verknüpft. Anfang der 1980er Jahre ist mit ihm erstmalig ein Leiter des Stadtarchivs benannt worden. Ihm gelang es, die organisatorischen Voraussetzungen für den Ausbau des Archivs zu schaffen und es mit einer festen Stelle personell auszustatten. Seit Mai 1985 arbeitet Gudrun Senska nun daran, die Stadtgeschichte zu ordnen. Dafür sei es wichtig, so Senska, große Mengen an Informationen strukturieren und Bezüge herstellen zu können. Ihr Geschichts- und Politikstudium sei dazu eine gute Grundlage gewesen. „Aber ich bin auch privat ein strukturierter Mensch, der seine Ziele im Auge behält und lange Strecken gehen kann“.


Erst in der Zusammenarbeit wird Stadtgeschichte richtig lebendig
Ihr Studium schloss Gudrun Senska mit dem zweiten Staatsexamen ab, sie hätte also auch Geschichtslehrerin werden können. Die Neigung, die Dinge auch stets mit einem pädagogischen Auge zu betrachten, hat sie beibehalten. Ein Arbeitsschwerpunkt für sie ist daher auch stets die Frage, wie sie vor allem junge Menschen an (Stadt-)Geschichte heranführen und näherbringen kann. Von diesem pädagogischen Anspruch profitiert aber nicht nur das Stadtarchiv, es macht sich im gesamten historischen Angebot der Stadt positiv bemerkbar. Denn eine weitere Besonderheit ist die enge Verbindung mit dem Stadt- und Industriemuseum. Senska ist in Personalunion, wie schon ihr Vorgänger, auch stellvertretende Leiterin des Museums, denn beide Einrichtungen sind in einem Amt zusammengefasst. Das ermöglicht sowohl eine  personelle sowie eine konzeptionelle enge Zusammenarbeit. Das beginnt bei der Nutzung eines gemeinsamen Empfangs und des technischen Personals, geht weiter über Veranstaltungen des Archivs, die ins Jahresprogramm des Museums einfließen und mündet in gemeinsam erarbeiteten Ausstellungen und anderen Programmangeboten. „Diese Verschränkung ist schon recht einmalig und ein großer Gewinn für Rüsselsheim. Denn erst die Objekte des Museums bringen die Papiere des Archivs zum Sprechen“, erklärt Senska.


Aktuell unterstützt Gudrun Senska unter anderem ein Studienprojekt der Universität Mainz von Professor Dr. Michael Simon, dessen Studierende mit der Erfassung städtischer Denkmäler befasst sind. Das Stadtarchiv steht der Verwaltung, der Wissenschaft, den Medien sowie den Rüsselsheimer Bürgerinnen und Bürgern offen. Die Öffnungszeiten sind Donnerstag von 10 bis 13 Uhr und 14 bis 17 Uhr sowie nach telefonischer Voranmeldung unter 06142 8329-60.



 

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