Interkulturelle Beiträge, die eng mit der Biographie der Preisträgerin verbunden sind, prägten das Programm der Feierstunde. Nach der Eröffnung durch den Griechischen Kulturverein betonte Oberbürgermeister Patrick Burghardt in seiner Begrüßung noch einmal die besondere Bedeutung des Förderstipendiums als eine der wichtigsten Auszeichnungen der Stadt: „Mit diesem Stipendium fördern wir junge Künstlerinnen und Künstler, die den Mut haben, neue Wege zu gehen und ihre kreative Stimme zu entfalten. Kunst und Kultur sind keine Luxusgüter, sie sind Herzstücke unseres gesellschaftlichen Lebens. Melis Ntente zeigt, wie sehr Kunst aus Rüsselsheim heraus wirken kann. Sie steht exemplarisch für das, was wir fördern wollen: Talent, Haltung und den Mut, mit Sprache die Welt zu verändern.“
Die Laudatio zur Feierstunde hielt der Herausgeber und Lyrikvermittler Tamer Düzyol. Er beschrieb Ntente als „Übersetzerin des Erlebten“, deren Sprache aus Bildern, Brüchen und leisen Zwischentönen bestehe. Ihre Texte seien „verdichtete Erfahrungen“ – Gedichte, die zugleich persönliches Zeugnis und gesellschaftliche Intervention seien.
Düzyol zitierte aus Ntentes Debütband ‚kleid aus landkarten‘ und machte deutlich, wie konsequent die Autorin Fragen von Identität, Herkunft und Zugehörigkeit behandelt: „In ihren Gedichten liegen die Erinnerungen einer ganzen Generation. Sie schreibt gegen das Vergessen, gegen das Verstummen. Sie erinnert, widerspricht – und baut Brücken mit Worten, Versen und Strophen.“
Er hob hervor, dass Ntentes Lyrik zwischen Intimität und gesellschaftlicher Anklage changiere. Mit sprachlicher Raffinesse und surrealistischen Bildern verleihe sie jenen eine Stimme, die allzu oft überhört werden. Ihre Texte über Rassismus, Migration und familiäre Geschichte seien zugleich zart und radikal – „eine Einladung, genauer hinzusehen“.
Melis Ntente dankte nach der Übergabe der Urkunde ihrer Familie, ihren Freundinnen und Wegbegleitern. Die Dichterin sprach in ihrer Rede über die Bedeutung von Sprache – als Werkzeug, als Zuflucht und als Herausforderung: „Für meine Familie, die als Gastarbeiter nach Deutschland kam, war Sprache keine Burg, sondern eine wackelige Brücke. Oft waren die ersten und einzigen Wörter, die man lernte, Begriffe aus der Arbeitswelt. Sprache war eher etwas Trennendes als etwas Verbindendes. Doch mit der Zeit kamen mehr Bücher in unser Regal – irgendwann auch meine eigenen.“
Die Möglichkeit Sprache und kreatives Schreiben zu ihrem Beruf zu machen bedeute ihr sehr viel. Diesen Impuls wolle sie in ihrer Kulturarbeit weitergeben und im Rahmen des Stipendiums Anfang 2026 eine Schreibwerkstatt für junge Menschen in Rüsselsheim anbieten. Das geplante „Poetry Lab“ soll in einer öffentlichen Lyrik-Installation münden. „Lyrik kann überall blühen und wachsen. Ich hoffe, dass ich diesen Gedanken mit dem Stipendium weitertragen kann“, so Ntente.
Begleitet wurde die Feierstunde von einem vielfältigen Rahmenprogramm. Talibe Rabia vom muslimischen Poetry-Slam-Kollektiv i,Slam trug einen eindringlichen Text vor, in dem sie deutlich machte, dass Heimat kein fester Ort, sondern ein Gefühl ist, das sich nicht in Kategorien pressen lasse. In einer musikalischen Lesung von Melis Ntente gemeinsam mit der Pianistin Mina Akcan wurden Texte der Stipendiatin mit musikalischen Klangkompositionen verbunden. Der Vater der Preisträgerin brachte mit „Zeibekiko“ einen traditionellen griechischen Tanz auf die Bühne.
Eine persönliche, familiäre Note, erhielt der Abend auch durch das von Ntentes Familie gestaltete Buffet, welches die Gäste nach dem Rahmenprogramm genießen konnten. Das Förderstipendium Kultur ist mit 855 Euro monatlich dotiert. Es orientiert sich am BAföG-Höchstsatz und wird für ein Jahr vergeben. Hinzu kommen 2.000 Euro Projektmittel für die Realisierung eines eigenen künstlerischen Vorhabens.