„Mit Dr. Julius Simon zeichnen wir einen Pädagogen aus, der in schwierigen Zeiten Haltung bewahrt und der Nachkriegsgesellschaft Werte vermittelt hat, die auch im Jahre 2025 noch tragen“, sagt Oberbürgermeister Patrick Burghardt. „Sein Wirken steht für stille, aber stete Zivilcourage und für gelebte Menschlichkeit im Alltag: für Verantwortungsbewusstsein, Respekt und die Überzeugung, dass Bildung der Kitt unserer Gemeinschaft ist.“
Die Auszeichnung geht auf das Kunstprojekt „Einen Bogen spannen mit Leuchtenden Vorbildern“ des Künstlers Vollrad Kutscher zurück. Im Ratssaal des Rathauses entsteht seit 1998 die „Galerie aus Licht“: Eine wachsende Installation, in der für jedes Leuchtende Vorbild eine individuell gestaltete Glaskappe auf einer Lampe des Ratssaales eingesetzt wird. Diese Kappen tragen das Portrait der jeweiligen Persönlichkeit und lassen sie im wörtlichen Sinne als leuchtendes Vorbild im Herzen des demokratischen Zentrums der Stadt erstrahlen. Das Projekt verbindet städtische Geschichte mit einer lebendigen Erinnerungskultur.
Dr. Julius Simon wurde am 25. März 1902 in Unter-Schönmattenwag (Odenwald) geboren und kam 1933 als Lehrer an die Rüsselsheimer Realschule, die spätere Immanuel-Kant-Schule. Als Lehrer für Deutsch, Englisch und Philosophie verstand er Pädagogik stets als moralische Aufgabe. Während des NS-Regimes trat er trotz wiederholten Drucks nicht in die NSDAP ein und bewahrte sich damit persönliche Integrität. Seine innere Gegnerschaft zum Regime blieb nicht folgenlos: seine Beförderung verzögerte sich über Jahre.
In den letzten Kriegsmonaten bewies Dr. Simon außergewöhnliche Zivilcourage, als er einen ehemaligen Schüler, der desertiert war, in seinem Elternhaus im Odenwald Unterschlupf gewährte und ihm so womöglich das Leben rettete. Dieser Schüler war der spätere Maler Diether Ritzert, der 1986 mit dem ersten Kulturpreis der Stadt Rüsselsheim ausgezeichnet wurde. Ritzert bedankte sich später mit einem großformatigen Gemälde bei seinem einstigen Lehrer.
Nach Kriegsende wurde Julius Simon als unbelasteter Pädagoge wieder für den Schuldienst zugelassen. Er setzte sich für den Wiederaufbau seiner Schule ein, wurde 1949 zum Schulleiter ernannt und machte das „Realgymnasium“, wie es ab 1946 hieß, zu einem Ort der Bildung, Kultur und Demokratie. Er förderte die Gründung einer „Schülermitverantwortung“ sowie einer Schülerzeitung und setzte sich mit Nachdruck für die Integration von Geflüchteten und Vertriebenen in die Schulgemeinschaft ein. 1956 initiierte er die Umbenennung in „Immanuel-Kant-Schule“, um den Geist der Aufklärung und der Vernunft bewusst gegen das Gedankengut der Diktatur zu stellen.
Als engagierter Mitgestalter der Rüsselsheimer Bildungslandschaft trieb Julius Simon auch den Neubau der Max-Planck-Schule voran, unterstützte die Gründung einer Realschule und des Hessenkollegs. Er war überzeugt, dass Bildung die Grundlage für ein friedliches, verantwortungsbewusstes Zusammenleben bildet. Seine Jahresberichte dokumentieren nicht nur das Schulleben, sondern auch den gesellschaftlichen Wandel der Nachkriegszeit.
Neben seiner pädagogischen Arbeit war Simon auch Wissenschaftler und Lokalhistoriker. Seine Dissertation über den Philosophen Ralph Waldo Emerson wurde 1937 veröffentlicht – ein Werk, das sich der Idee individueller Freiheit und moralischer Selbstbestimmung widmet und damit den Kern seines Denkens spiegelt. Später publizierte er kulturhistorische Texte über seine Heimat Unter-Schönmattenwag und zur Entwicklung Rüsselsheims. Ehemalige Schüler – darunter der Schauspieler Walter Renneisen – erinnern sich an ihn als „Philosophen, großen Pädagogen, menschlich einwandfrei und gütig“.
Die nun erfolgte Ehrung beruht auch auf der akribischen Forschungs- und Vermittlungsarbeit des IKS-Lehrers Dr. Franz Horváth, der das Leben und Wirken von Dr. Julius Simon in Publikationen und Veranstaltungen aufgearbeitet, dokumentiert und der Stadtgesellschaft zugänglich gemacht hat. Die Stadt dankt Franz Horváth ausdrücklich für dieses langjährige Engagement.
Die Feierstunde für das „Leuchtende Vorbild“ 2025 findet im kommenden Jahr im Ratssaal des Rüsselsheimer Rathauses statt. Dann wird der Künstler Vollrad Kutscher die „Galerie aus Licht“ um das Portrait von Dr. Julius Simon erweitern. Zu der Feierstunde sind alle Rüsselsheimer Bürgerinnen und Bürger eingeladen. Informationen zum Programm des Abends werden im Vorfeld kommuniziert.
Dr. Julius Simon ist das neunte „Leuchtende Vorbild“ der Stadt. Zuletzt war 2022 Hertha Dünzinger gewählt worden, die die Reihe von Adam und Sophie Opel (1998), Walter Rietig (2001), Luise Heßemer (2004), Herta Max (2013), Dr. Günter Neliba (2016) und Costas Alexandridis (2019) fortsetzte. Die nächste Wahl erfolgt dem Dreijahresturnus entsprechend 2028. Dann können die Rüsselsheimer Bürgerinnen und Bürger wieder Vorschläge einreichen und begründen, wer an zehnter Stelle als Vorbild im Ratssaal leuchten soll.
Informationen zum Kunstwerk, dem Prozess zur Auswahl „Leuchtender Vorbilder“ sowie zu den bisherigen Vorschlägen können über die Adresse www.leuchtende-vorbilder.de (Öffnet in einem neuen Tab) auf der städtischen Homepage eingesehen werden.





